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Bundesanwaltschaft beantragt Freiheitsstrafen bis 5 Jahre und 3 Monate im Staatsschutzverfahren gegen vier Sikhs

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Sikh-Heiligtum Goldener Tempel von Amritsar, Foto: Oleg Yunakov

Weitgehend ohne öffentliche Beachtung wurde vor dem Oberlandesgericht Frankfurt mehr als ein Jahr gegen ursprünglich fünf indische Angeklagte, die aus dem Punjab stammen und zur Religionsgemeinschaft der Sikhs gehören, in einem Staatsschutzverfahren verhandelt. Dabei hätte das Verfahren durchaus Aufmerksamkeit verdient gehabt, und das nicht nur wegen des teilweise exotischen Aussehens einiger langbärtiger und turbantragender Angeklagter. Es gibt in vielen größeren deutschen Städten Sikh-Gemeinschaften, die teilweise unterschiedliche Strömungen ihrer Religion vertreten und bisweilen recht intensive Auseinandersetzungen miteinander führen. Was die meisten von ihnen eint, ist die politische Gegnerschaft zur indischen Zentralregierung, die vielen spätestens seit dem Sturm auf den goldenen Tempel von Amritsar im Jahr 1983 und den sich daran anschließenden Pogromen verhasst ist.

Den Angeklagten wird von der Bundesanwaltschaft unter anderem die Mitgliedschaft in einer angeblich  terroristischen Vereinigung, der Khalistan Zindabad Force (KZF), oder deren Unterstützung, Verstöße gegen das Waffengesetz sowie die Verabredung zum Mord vorgeworfen. Einige von ihnen sollen einen Anschlag auf einen abtrünnigen Sikh-Guru sowie Attentate auf Militäreinrichtungen in Indien geplant haben. Es war ein illustres Aufgebot von Zeugen geladen worden, darunter Geheimdienstler, Verfassungsschützer und Beamte des Bundeskriminalamtes sowie des hessischen Landeskriminalamtes. Die hatten teilweise erhebliche Gedächtnisverluste geltend gemacht und beriefen sich im Übrigen bei heiklen Fragen von Gericht und Verteidigung wiederholt auf eine nicht ausreichende Aussagegenehmigung. Im Vorfeld des Verfahrens hatte ich an 7 ganztätigen Vernehmungen meines Mandanten teilgenommen, die im Staatsschutzbereich des Düsseldorfer Polizeipräsidiums stattgefunden hatten. Danach war es mir gegen den ursprünglichen Widerstand der Bundesanwaltschaft gelungen, für meinen Mandanten eine Haftverschonung zu erreichen.

Nachdem das Verfahren gegen einen Angeklagten bereits vor einiger Zeit abgetrennt worden war, plädierte die Staatsanwaltschaft vorgestern gegen die verbliebenen Angeklagten. Drei von ihnen – darunter auch mein Mandant – hatten sich relativ frühzeitig auf eine Verständigung gem. § 257c StPO eingelassen. Aus unserer Sicht war dabei mal wieder die ganze Problematik dieser Vorschrift zum Tragen gekommen. Die Kammer hatte signalisiert, dass nur bei einer geständigen Einlassung eine Bewährungsstrafe zu erwarten sei. Sie hatte auch – ohne das dies für einen Befangenheitsantrag ausgereicht hätte – erkennen lassen, dass es bei einer prima-facie-Beurteilung  mit großer Sicherheit zu einer Verurteilung kommen würde. Sie hatte angekündigt, dass man bei meinem vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abrücken und statt dessen “nur” von Unterstützung ausgehen werde.

Für uns war und ist besonders problematisch, dass die Unterstützungsverurteilung im anhängigen Asylverfahren erhebliche zusätzliche Probleme bereiten kann. Bei einer Abschiebung nach Indien droht dem Mandanten schlimmstenfalls die Todesstrafe. Natürlich darf dann nicht abgeschoben werden, aber es wäre nicht das erste Mal, dass Zusicherungen erfolgen, dass keine Todesstrafe verhängt wird, und später andere Gründe oder angebliche neue Erkenntnisse nachgeschoben werden, die dann zu einer anderen Beurteilung durch die indische Justiz führen.

Eine Tatfrage, die sich aus meiner Sicht einem “Deal” entzieht, ist die Frage, ob es sich bei der KZF tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt. Zwar steht diese auf der EU-Liste der Terrororganisationen, aber im Verfahren konnte nicht geklärt werden, wie sie überhaupt dorthin geraten ist. Der zuständige EU-Terrorbeauftragte hatte dem Sachverständigen mitgeteilt, dass insoweit leider keine Angaben gemacht werden könnten. Also muss anhand der festzustellenden Organisationstruktur der Vereinigung und ihrer tatsächlichen Aktivitäten, soweit diese gerichtsverwertbar festgestellt werden können, subsumiert werden.

Die Bundesanwaltschaft hat in ihrem mehr als dreistündigen Plädoyer Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren und 3 Monaten beantragt. Für meinen Mandanten hielt sie eine solche von einem Jahr und 10 Monaten für tat- und schludangemessen, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Deshalb wurde auch die Aufhebung des bislang nur außer Vollzug gesetzten Haftbefehls beantragt.

Am kommenden Montag wird die Verhandlung mit den noch ausstehenden Verteidigerplädoyers fortgesetzt. Dann kann jedenfalls noch vor Weihnachten ein Urteil verkündet werden. Ich bin heilfroh, wenn auch dieses weitere Umfangsverfahren nach dem Hamburger Piratenprozess beendet ist.


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